Warum ist ein standardisierter Transitionsprozess wichtig und notwendig?
Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Lebenserwartung von Kindern und Jugendlichen mit chronischen und seltenen Erkrankungen oft begrenzt. Dank enormer Fortschritte in der Medizin erreichen heute rund 90% dieser Patient:innen das Erwachsenenalter. Dazu gehören junge Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Typ-1-Diabetes, rheumatischen Erkrankungen, cystischer Fibrose, Epilepsie oder seltenen Stoffwechselstörungen. Diese Patient:innen benötigen in der Regel eine lebenslange, kontinuierliche Betreuung, um ihre Lebensqualität zu sichern, die Mortalität und Morbidität zu verringern und die Gesundheitskosten zu senken. Der Übergangsprozess von der kinderzentrierten zur erwachsenenzentrierten Gesundheitsversorgung – die sogenannte Transition – wird daher zu einem zentralen Thema im Gesundheistwesen.
Der Übergang ist komplex und beinhaltet viele Hürden, die sowohl den Patient:innen als auch das gesamte Behandlungsteam betreffen. Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass der Übergang oft den Abbruch einer langjährigen, vertrauensvollen Beziehung zu den betreuenden Ärzt:innen, Psycholog:innen, Pflegekräften etc. im Kinderspital bedeutet. Hinzu kommt, dass viele Jugendliche noch nicht ausreichend auf die Eigenverantwortung vorbereitet sind, die in einer Erwachsenenklinik erwartet wird. Die Eltern, die bislang viele Entscheidungen übernommen haben, müssen diese Verantwortung zunehmend abgeben, was oft eine Herausforderung für alle Beteiligten darstellt. Während in Kinderkliniken oft Spezialist:innen verschiedener Fachrichtungen unter einem Dach vereint sind, ist die Erwachsenenheilkunde spezialisierter und dezentraler organisiert, sodass Patient:innen häufig verschiedene Spezialist:innen an unterschiedlichen Orten aufsuchen müssen. Insgesamt betrachtet werden in der Kinderheilkunde die Patient:innen und ihre Familien intensiv betreut, Entscheidungen gemeinsam getroffen und die Eltern eng in die Betreuung eingebunden. In der Erwachsenenklinik hingegen sind die Patient:innen für ihre gesundheitlichen Entscheidungen selbst verantwortlich und organisieren ihre Behandlung genauso wie Termine eigenständig. Das Behandlungsteam hat eher eine beratende Funktion und die Angehörigen spielen meist nur eine untergeordnete Rolle.
Ein gut strukturierter Übergangsprozess hat viele Vorteile für die Patient:innen und das Gesundheitssystem. Studien und Erfahrungen zeigen, dass eine standardisierte Transition dazu führen kann, dass chronisch kranke Jugendliche besser an die Erwachsenenversorgung angebunden sind und sich gut betreut fühlen. Dies wiederum führt zu einer besseren Einhaltung der regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, einer zuverlässigeren Umsetzung der Therapieempfehlungen und einer früheren Erkennung von Gesundheitsrisiken. Langfristig unterstützt dies den Behandlungserfolg, minimiert das Risiko von gesundheitlichen Komplikationen und Langzeitschäden und verbessert die Lebenserwartung und -qualität der Patient:innen.
In vielen Ländern entstehen inzwischen spezialisierte Transitionsprogramme und -kliniken, die als Wegbereiter für eine flächendeckende Versorgung gelten. Beispiele hierfür sind unten angeführt. Darüber hinaus gibt es Angebote wie Transitionsworkshops, die jungen Menschen bei der Entwicklung ihrer Selbstständigkeit helfen, spezialisierte Kliniken für junge Erwachsene, multidisziplinäre Transitionsberatungen sowie Instrumente zur Bestimmung der Transitionskompetenz. Diese Programme setzen weltweit neue Maßstäbe und fördern den Übergang von Kinder- zu Erwachsenenkliniken. Die S3-Leitlinie zur Transition und die Empfehlungen der American Academy of Pediatrics (APA) bieten eine evidenzbasierte Grundlage für den Transitionsprozess und beschreiben, wie ein optimaler Übergang gestaltet werden kann, um den spezifischen Bedürfnissen chronisch kranker Jugendlicher gerecht zu werden. Diese Leitlinien betonen die Notwendigkeit eines strukturierten und individuell angepassten Transitionsprozesses, der sowohl medizinische als auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt.
Fazit
Ein standardisierter Transitionsprozess ist von entscheidender Bedeutung, um die Kontinuität der Versorgung von Jugendlichen mit chronischen und seltenen Erkrankungen sicherzustellen und ihnen den Schritt in die Unabhängigkeit zu erleichtern. Ein erfolgreicher Übergang stärkt die Eigenverantwortung der Patient:innen und ermöglicht langfristige Gesundheitserhaltung und Verbesserung der Lebensqualität. Durch die flächendeckende Umsetzung internationaler Transitionsprogramme und evidenzbasierter Leitlinien können Gesundheitssysteme sicherstellen, dass junge Patient:innen nicht nur sicher in der Erwachsenenklinik ankommen, sondern auch selbstbewusst und kompetent mit ihrer Gesundheit umgehen können.
- UK, Southampton: Ready steady go (Ready Steady Go: Transition programme 2006)
- Irland: Stepping Up (SteppingUP.ie, 2017)
- Niederlande, Rotterdam: On Your Own Feet Ahead (2014)
- Deutschland, Berlin: Berliner Transitionsmodell (BTP, 2009)
- USA: Got Transition (GotTransition.org, 2013)
- Schweiz: Medizinische und integrative Transition für junge Behinderte und chronisch Kranke (transition1525, 2018)